Ich lebte schon an den unterschiedlichsten Orten und Lebenswelten und habe dort auch immer fotografiert. Auf einem Einödhof, in einem kleinen Dorf, in einem Marktflecken, in Kleinstädten, in Provinzstädten und in Großstädten – das ganze Spektrum. Nicht immer gibt es dort die schönen Postkartenmotive, aber immer gibt es irgend etwas, das meinen Blick fesselt und ich fotografieren will. Blättere ich durch mein Fotoarchiv, finde ich eine Unmenge solcher Aufnahmen. Beispiele für das, was ich unter Urban Strolls und New Topographics verstehe, gibt es hier und in verschiedenen Blogposts.
Aufgewachsen bin ich in zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein konnten: bei den Eltern in der Großstadt und bei meinen Großeltern auf einem kleinen niederbayerischen Bauernhof. In der Stadt gab es Gründerzeitpracht und moderner City, viele verwilderte Kriegsbrachen, Hinterhöfen und Kellerwerkstätten. Auf dem Dorf gab es alte Scheunen, Ställe, Dachböden, verlassene Höfe und abgelegene Maschinenhallen. Vielleicht habe ich daher den Hang, altes Zeug oder marode Bausubstanz zu fotografieren, mich faszinieren jedenfalls bis heute Unregelmäßigkeiten, Brüche oder Übergänge und Spuren des Alters oder des Gebrauchs.
Wie schnell sich die eigene Stadt oder das Dorf verändert, sich immer wieder neu erfindet, fällt uns im Alltag kaum auf. Ganze Stadtviertel werden saniert oder abgerissen, Landschaften durch Flurbereinigung, Gewässerbegradigungen und Umgehungsstraßen massiv verändert, Höfe und Dörfer den neuen Großmaschinen angepasst. Oft sind es nur kurze Zeitspannen, in denen die Überreste der vergangenen Zeit ungenutzt herumstehen, bevor sie für immer verschwinden. Manchmal jedoch finden sich Zeitkapseln, mehr oder weniger unberührte Orte, die unter einer Patina einen Blick auf ein Damals erlauben. Und manchmal stehen sich das Neue und das Alte direkt gegenüber und verweisen aufeinander – gewollt oder ungewollt.
Doch auch im Alltäglichen, Unspektakulären und Unscheinbaren finden sich Motive, die mich immer wieder die Kamera hochnehmen lassen. Da ich schon lange kein Auto mehr besitze und daher viel zu Fuß unterwegs bin, mache ich die wenigsten Fotos auf spektakulären Reisen oder Ausflügen, aber komme an Orte, die ich aus dem Auto nie gesehen hätte oder es mir zu umständlich wäre, extra dafür anzuhalten oder eine Parkmöglichkeit zu suchen.
Meist sind es nur ein paar Schritte weiter oder zurück, ein bisschen Neugierde, was sich dort zeigen könnte. Fast selten sind die Aufnahmen geplant, ich sammle sie einfach auf dem Weg ein. Hier kommt mir vor allem zugute, dass ich gerne spazieren gehe und mir, wann immer es möglich ist, mir meine Alltagswege als Gelegenheit dazu nutze. Zeit ist dabei wichtig und wann immer es geht, plane ich genug Zeit für die Wege ein. Diese Entschleunigung führt nicht nur Fotomotiven, sondern trägt auch so zu meinem Wohlbefinden bei. Da ich ja in der Regel nichts plane, macht es auch nichts aus, wenn ich keine oder nur belanglose Bilder mache. Es geht um die Option, nicht um das Ergebnis.
Manchmal jedoch suche ich gezielt Orte auf, die ich fotografieren will und bereite mich darauf vor. Entweder habe ich auf den Spaziergängen etwas entdeckt, was ich bei besserem Licht oder mit mehr Muse nochmal aufnehmen möchte oder ich entdecke auf einer Zugfahrt aus dem Fenster Orte, die ich unbedingt mal bestreifen will. Oder es ergibt sich die Gelegenheit, eine Lost Space oder einen Ort, zu dem sonst der Zutritt verwehrt ist, zu besuchen und dort ausgiebig länger Zeit zu verbringen. Das Innere eines alten Kirchturms oder eine alte stillgelegt Fabrik, aber auch eine moderne Produktionsstätte, ein Atelier oder eine Behörde. Hier versuche ich im Vorfeld mehr darüber zu erfahren und über die Geschichte des Orts zu recherchieren.
Auch wenn es scheinbar an manchen Orten langweilig oder öde scheint – es gibt nichts, was per se uninteressant ist für mich wäre. Nur die Zeit muss man sich nehmen, mal mehr, mal weniger. Mach ich aber gerne.