Daily Kellerfenster

Straßenzeile

2018 fotografierte ich genau ein Jahr lang strukturiert in der Stadt Offenbach Kellerfenster und veröffentlichte jeden Tag eines auf Instagram: „Daily Kellerfenster – 365 Kellerfenster aus Offenbach“. Aus einer Challenge (ein Jahr sich mit einem Thema beschäftigen, Instagramm ausprobieren, Smartphonekamera testen, …) wurde schnell mehr.

Verortung

Ich lebe in Offenbach am Main. Offenbach ist mit aktuell 130.000 Einwohner*innen eine Großstadt, aber dennoch eine sehr kompakte Stadt, überschaubar und zu Fuß ist alles gut erreichbar. Ich laufe also oft im Alltag durch die Stadt und die Seitenstraßen, dabei sind mir immer wieder Kellerfenster aufgefallen.
Kellerfenster nahm ich bis dahin kaum wahr, warum auch? Ich gehe daran vorbei, hin und wieder nehme ich Kellergeruch wahr, im Sommer manchmal einen kühlen Hauch. Wenn ich Gebäude wahrnehme, bewundere ich schöne Fassaden, Eingänge, Fenster oder Dächer. Blicke ich nach unten, dann um auf den Weg zu achten, nicht auf die Kellersockel der Häuser.

Der Blick nach unten

Zunächst zogen die schönen Fenster alter Gründerzeit- und Jugendstilhäusern meinen Blick auf sich, manchmal mit der dicken Patina eines ganzen Jahrhunderts, manchmal mehr oder weniger gelungen saniert in einem neuen Glanz. Jetzt schaute ich mir auch die anderen, die unscheinbaren und hässlichen Kellerfenster aufmerksamer an.
Ich begann die Fenster zu fotografieren, ein ganzes Jahr lang. Im Laufe dieses Jahres bekam ich nach und nach einen anderen Blick auf die Stadt, ihre Geschichte und ihre Wandlungen.

Oft wurden nach dem Krieg auf alten Kellerruinen eilig neue Häuser gebaut. Schlichte 50er-Jahre-Gebäude auf den alten Fundamenten der Kriegsruinen. Bei manchen der Altbauten, die den Krieg unbeschadet überstanden haben, wurden in den Wirtschaftswunderjahren die Kellersockel gekachelt, bei Gebäuden mit Läden im Erdgeschoss oft das ganze Stockwerk. In den 50er- und 60er-Jahren geschah das stellenweise eher bunt und grafisch nicht uninteressant. Die 70er- und 80er-Jahre hingegen waren von Braun- und Grüntönen geprägt, trist und langweilig wie die Betonwände der Zweckbauten, die gleichzeitig entstanden. Die alten Holzkellerfenster und schmiedeeisernen Gitter wurden durch moderne, verzinkte Blechfenster ersetzt. Praktisch, abwaschbar, gesichtslos.

Zeitbrücken

Auf Hüfthöhe bildeten sich sichtbare Brüche in den Straßen der Stadt. Brüche im Hinblick auf Zeit, Architektur, Moden und Materialien. Zeitbrücken, die Geschichten erzählen können, sofern man hinsieht.
Zwischen den alten Häusern, die den Krieg überstanden haben, wurde in die Lücken schnell und möglichst günstig neu gebaut. Für kunstvolle Steinumrandungen und verzierte Gitter waren weder die Zeit noch das Geld noch ein Architekturstil vorhanden. Aber es gibt in diesen Häusern noch klassische Keller: einen gemauerten Raum mit Türe und einem Kellerfenster.
In modernen Häuser, wie sie heute gebaut werden, gibt es unter dem Erdgeschoss große Räume und Abteile aus Metallwänden. Das Licht ist elektrisch, für Luft sorgt eine Lüftungsanlage. Kellerfenster sind nicht mehr notwendig.

Straßengalerie

In dieser sich im dauernden Wandel befindenden Stadt stehen Häuser aus verschiedensten Zeiten und Epochen dicht nebeneinander: sanierte und heruntergekommene Altbauten, schnell und billig hochgezogene Nachkriegsbauten, diverse Bausünden der 70er- bis 90er-Jahre und die durch den aktuellen Bauboom in die letzten Baulücken gepresste moderne Wohn- und Bürohäuser. Ein wilder Mix aus allen möglichen Stilen, Bauepochen und Materialien – und das alles mitunter in einer Straße.
Was verbirgt sich wohl hinter den Fenstern in den Kellern dieser so verschiedenen Häuser? Ist es dort staubig oder modrig und feucht? Was wird dort aufbewahrt oder gemacht? Welche Vergangenheiten werden dort in Kisten aufbewahrt, welche Träume liegen dort begraben? Was war da früher mal, was ist dort heute? Wo vor gar nicht so langer Zeit noch Kohlen gelagert wurden, steht heute vielleicht ein E-Bike.
Hinter jedem Kellerfenster könnte ein Geheimnis stecken. Oder einfach nur ein schmutziges, düsteres Kellerabteil.

Das Fotoprojekt

Daily-Kellerfenster-Stadtplan

[Karte als PDF: Daily-Kellerfenster-Stadtplan Offenbach 2018]

Immer wieder habe ich Ideen, ich könnte dieses oder jenes machen, ausprobieren, angehen. Auch die Idee, in Offenbach Kellerfenster zu fotografieren, trug ich schon länger mit mir herum. Mir fehlte allerdings noch ein Rahmen, ein Konzept, wie ich das umsetzen könnte.

Im Winter 2017, kurz vor dem Jahreswechsel, hatte ich dann immer konkretere Vorstellungen für ein Kellerfenster-Projekt, mithilfe dessen ich vier Dinge ausprobieren wollte, die mich aktuell beschäftigten, aber nie die Zeit fand.
Neben dem Fotografieren der Kellerfenster wollte ich Instagram, womit ich mich noch nie beschäftigt hatte, ausprobieren und kennenlernen. Außerdem interessierte mich die Kamera meines Smartphones. Wie weit taugt diese für meine Art zu fotografieren? Das wollte ich testen. Und ich las immer wieder von 365-Tagen-Projekten und den Schwierigkeiten ein solches Durchzuhalten. Würde ich mir sowas zutrauen, mich ein ganzes Jahr jeden Tag fotografisch mit einem Thema zu beschäftigen? Eine Disziplinübung für das Jahr 2018 sozusagen.

Ab 1. Januar fotografierte ich systematisch Kellerfenster, immer dem Verlauf der Straße nach, unabhängig davon, ob schön,  interessant, langweilig oder hässlich. 365 Kellerfenster, von denen ich täglich eines auf Instagram unter dem Account „Daily Kellerfenster“ veröffentlichte.
Aus den Bildern ist 2021 ein Buch entstanden, alle Bilder zum Durchblättern in der Reihenfolge, wie sie 2018 auf Instagram gepostet wurden.

August 202, Oliver Lauberger

(Kellerfenster Monat Januar)

 

Daily-Kellerfenster – Digital:

Daily-Kellerfenster – Analog:

  • Ausstellungsformat (skalierbar) mit Print, Beamer- und Soundinstallation
  • Bildband (Softcover 21 x 21 cm, alle 365 Bilder, 128 Seiten, 26.- €, erschienen Oktober 2021)

Bei Interesse bitte E-Mail an info@oliverlauberger.de

Fluchtpunkt