Müllberg frisst Kirche - Fröttmaning 2017

Mit Schwund muaßt rechnen – Fröttmaninger Müllberg

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Fotografie persönlich

Wir wollten mal schnell raus, die Beine vertreten, paar Fotos machen und einen bisschen weiteren Blick haben. Wir sind auf dem Fröttmaninger Müllberg, am Stadtrand im Münchner Norden. Der wurde in den 1970-80er Jahren zu einem Naherholungsgebiet umgewandelt.

Manchmal stolpert man beim Spazierengehen plötzlich über kleine Geschichten, die eigene und die der Stadt.

Mit meinen Eltern fuhr ich als Kind oft an der Autobahn an dem damals noch aktiven, rauchigen, riesigen Müllberg vorbei. Ich kann mich noch gut an den Gestank erinnern und nachts konnte man in der Dunkelheit die Flammen der Deponiegasfackeln und manchmal sogar die wilden Brände sehen.

Bis heute noch gärt der Berg und produziert diese explosiven Gase, Warnschilder auf den Wegen weisen überall auf die Gefahr hin.

Lange bevor der Müll und die Autobahnen kamen, lag dort der Weiler Fröttmaning mit der ältesten Kirche Münchens. Ab den 1930er-Jahren wurde die Autobahn A9 und später die A 99 gebaut. In den 1950er Jahren begann München den Müll dort zu deponieren. Der Müllberg wuchs immer mehr, der Weiler wurde nach und nach vom Müll verschluckt und hätte fast auch die alte Kirche unter sich vergraben, was durch Bürgerproteste verhindert wurde. Die Kirche blieb stehen, verloren im Schatten der Autobahnen und des Berges, die Höfe außen rum verschwanden alle, nach und nach.
Eine Kunstinstallation von Tim Ulrichs erinnert an das Verschwinden des Dorfes im Müll.

Als ich mich in den 1990er Jahren immer mehr für Fotografie interessierte, fand ich vor allem Foto-Reportagen interessant, die Einblicke in andere soziale Welten geben.

Mit Schwund muaßt rechnen - Fröttmaning 2017

Eine davon ist „Mit Schwund muaßt rechnen!“, eine Fotodokumentation aus den 1980er Jahren von Susanne Kippel (oder Susanne Amatosero) über den letzten Hof von Fröttmaning, der Bäuerin, den Bewohnern und ihrem Leben mit und vom Müllberg. Die lebten zwar nicht mehr von der Landwirtschaft, hatten aber auf ihren großen Hof viel Platz für Tiere, die sich dort frei bewegten. Es gab Platz für die Autowerkstatt des Sohnes und das Müllberg-Fundstück-Lager eines Bewohners. Bis zu der Zeit hüteten sie auch die Schafherde im Englischen Garten. Neben der Bäuerin und ihrem Sohn, dem Automechaniker, lebten einige Münchner Gestrandete mit dort, haben eine neue Heimat und Ruhe gefunden.

Susanne Kippel hat sich die Geschichten der Menschen angehört und so auch aufgeschreiben. Mehrfach hat sie den Hof besucht, sich Zeit genommen, den Müllberg bestiegen und neben vielen Bildern ihre Eindrücke und Beobachtungen als Texte in den kleinen Bildband gepackt.

Ein kurioser Ort mit kuriosen Menschen in einer kuriosen Umgebung. Und doch leben sie dort ihre Normalität, ihren Alltag, so wie sie es wollen und wie sie es brauchen. Nur der Müll wird mal alles fressen.

Und dann wächst Gras drüber …

Müllbergschafe - Fröttmaning 2017

 

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